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"Die Quadratur des Tigers"
Rede von Bistra Klunker zur Ausstellung von Elke Heber in der WCW Chemnitz am 21.02.2018
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gastgeber, liebe Elke Heber,
ich freue mich sehr, zum Auftakt dieser Ausstellung ein paar Worte sagen zu dürfen. Ja, dürfen, denn über das Werk eines Künstlers zu sprechen, bedeutet: Ich übernehme die Verantwortung über die nächsten ca. 10 Minuten. Eine Verantwortung, die schwer wiegt und ins Auge gehen kann – in dasjenige Auge, wo die Kunst angeblich liegt – so sagt man doch oft : „Die Kunst liegt im Auge des Betrachters“.
Das Komplizierte an so einer Rede zur Ausstellungseröffnung ist ja, den Geschmack der Zuhörer zu treffen und die Profis, also die Künstler, nicht zu langweilen oder gar ihnen zu nahe zu treten. Ich mache es mal wie die deutschen Konservativen in ihrer Blütezeit und wähle den Mittelweg. Ich möchte also Sie UND sie (Elke Heber) auf einen kleinen Spaziergang mitnehmen: Gehen wir in die Bilder hinein, querfeld durch ein Rapsmeer, zärtlich vom Wind zerzaust. Wir schleichen uns dann von hinten an bis zum Himmel ragende Giraffen und an lauernde Tiger heran, begegnen friedlichen Wasserbüffeln, die wie Riesenratten aussehen. Es sind plastisch wirkende Acryl-Kompositionen oder durchschimmernde Gestalten auf die Leinwand oder auf Damast gemalt – ja, Damast, wie die Tischdecken zu Hause. Wir verirren uns noch kurz in die jordanische Wüste zum camelruning kommen heil ins benachbarte Vietnam, wo die Gänse unter Lampions schnattern und finden wieder beglückt hinaus aus den Bildern, zurück in die Geschäftsräume der Wohnungsgenossenschaft Chemnitz West eG, wo ein leckeres irdisches Büffet auf uns wartet.
Also, meine Damen und Herren, Augen auf und durch!
Wie schon erwähnt, ist es als bloßer Betrachter schwer, Kunst zu bewerten. „Ja, irgendwie ansprechend“, sagt man oder „also ich weiß nicht, so richtig meins ist es nicht, nee, diese Farbkleckse sagen mir nichts“. Und dann eines Tages: PENG! Die Farbkleckse samt Farbklecksen-Erzeuger bzw. Erzeugerin werden weltberühmt, das Bild ist ein Vermögen wert! „Mist, hätte ich bloß damals …“ , ärgert man sich grün und blau. Denken Sie daran, meine Damen und Herren, wenn Sie sich anschließend die Bilder von Elke Heber anschauen: Was heute teuer erscheint, ist morgen ein Schnäppchen gewesen!
Sie können jetzt ruhig Ihr Gewicht auf das andere Bein verlagern. So.
Tagelang suchte ich bei der Vorbereitung auf diese Rede in Gedanken nach einem besonderen Zugang zu den Bildern. Ich wollte sie begreifen. Ist es die Philosophie, die mir dabei helfen kann?
Sie müssen wissen, meine Damen und Herren, dass ich in den letzten Tagen so weit entfernt von der Philosophie war wie Donald Trump von einem vorzeigbarem IQ-Quotienten – mein Mann ist seit Wochen zur Kur, ich muss mich allein um 2 Häuser und 7 Hühner kümmern und am Wochenende bin ich gern gesehene Oma von 3 Enkeln, dazu wollen meine ausländischen Studenten im Deutschunterricht partout nicht begreifen, dass man Rechtsattribute bei der Verbalisierung nicht von den Substantiven in den Nominalgruppen trennt! Nein, an Philosophie zu denken, lag mir wirklich fern.
Und dann die Erleuchtung … heute ist man ja zum Glück ein paar Klicks vom Wissen entfernt. Die Quadratur und das Quadrat.. Und die Frage: „Was ist Schönheit?“ Schon steht man vor einem Berg von Interpretationen. Ich pickte mir ein Essay des amerikanischen Architekten Charles Jencks heraus. Er sieht vier Prinzipien des Schönen: Verdichtung von Formen oder Muster zum Quadrat, Freude am Neuen, Symbolik der Perfektion und den bedeutsamen Inhalt. Klingt schlüssig und ich suchte ja nach einem Schlüssel. Quadrate öffnen sich wie Türen. Und: Quadrate haben Ecken, Festpunkte, darin wirken runde Formen dynamisch, lebendig. Diese Künstler und ihre Tricks!
Jencks, der philosophierende Architekt, sieht Objekte als geglückte intensive Form – die aber aus subjektiven Gründen abgelehnt werden kann. Die Erfahrung der Schönheit wird durch Meinungen und Haltungen modifiziert. Jencks meint, die Vollkommenheit ist vor allem eins: eine IDEE, der wir verfallen sind. Wie schön! Und wie schaurig!
Zeit also, sich dem Tiger im Quadrat zu nähern, natürlich auf sichere Distanz. Der Bogen seines Rückens füllt das Blickfeld aus, wir sehen seine Augen nicht, nur potenzielle Opfer sehen sie wahrscheinlich, für Sekunden des Todeskampfes. Ein Tiger ist nicht zu unterschätzen. Aus Angst vor ihm durfte im alten China sein Name nicht genannt werden – er war das „große Insekt“ oder „der König der Berge“ - das mit dem Insekten muss wohl an der Übersetzung liegen. Man brachte ihm Opfer, denn er beschützte die Felder vor den Überfällen der Wildschweine. Er verkörperte dämonische Kräfte und vertrieb sie gleichzeitig, er vertrat die Mächte der Finsternis und das wieder aufsteigende Licht. Im chinesischen Tierkreis steht der Tiger für Zielstrebigkeit und Organisationstalent und entspricht bei uns dem Sternzeichen Zwillinge – womöglich sind unter Ihnen auch ein paar Tiger dabei.
Auch in unserem Sprachgebrauch ist die Raubkatze präsent. Wer herumtigert, ist unruhig und will etwas reißen oder zerreißen. Umso trauriger, den Tiger, das stolze Tier, im Zoo gefangen zu sehen oder in der Werbung im Tank eines Ölkonzerns. Zum Glück, aber Vorsicht!, ist er auf den Bildern von Elke Heber frei und schert sich nicht um uns, zähe Burgerking-genährte oder fade Tofu-Bouletten-Touristen. Der Duft einer leckeren Gazelle steigt wohl dem Tiger in die Nase und deshalb bemerkt er uns nicht. Doch er kann sich jeden Moment umdrehen und … Schnell weg.
Nun sehen wir Sterne, auf den Bildern, kreisförmig platzierte Punkte - das sind die Plejaden im Sternbild Stier. In Japan heißt das Sternbild übrigens Subaru, und zwar noch bevor es eine Automarke diesen Namens gab.
Eigentlich sind die Plejaden ein Sternhaufen, in dem man mit bloßem Auge etwa 5 bis 6 Sterne erkennt. Der ganze Haufen setzt sich aber aus Hunderten von Sternen zusammen, wie mit einem Teleskop deutlich wird. Der Name kommt von den alten Griechen – von den alten wohlgemerkt, denn die neuen haben andere Probleme als Sternhaufen zu benennen - und symbolisiert die sieben Töchter von Atlas und Pleione. Sie waren Nymphen und wurden wohl um den Olymp herum von Orion verfolgt. Doch auch am Himmel sind sie vor ihm nicht sicher, er hockt nur 30 Grad weiter südöstlich und wartet auf eine passende Gelegenheit. Die Himmelsscheibe von Nebra, älteste konkrete Darstellung des Kosmos, mit den Plejaden als goldenen Punkten darauf, inspirierte Elke Heber zu ihrem „Kreis der Plejaden“.
Sie können jetzt ein letztes Mal das Bein wechseln. Bald sind wir am Ziel.
In diesem Spannungsfeld zwischen Tierreich und Mythologie, unterwegs vom Dschungel über getrocknete Bananenschalen zu den Elbwiesen, vorbei an Leben und Tod, begegnen wir auch Menschen, oder besser gesagt ihren EigenARTen oder noch besser gesagt, wir hätten ihnen begegnen können, wenn sie sich samt Objekten nicht im Rittersporn des Rosengartens verstecken würden. Es sind der amerikanische Objektkünstler Robert Rauschenberg, der gern reale Dinge wie Fahrräder in die Kunst holte, und der Schweizer Maler und Bildhauer Jack Tinguely, der sich als Techniker-Poet sah und phantasievoll-beängstigende Maschinenungetüme baute.
Sehr geehrte Damen und Herren, die anfangs erwähnte Verantwortung für die nunmehr vergangenen Minuten drückt mir inzwischen tolle aufs Kreuz, deshalb würde ich sie gern langsam ablegen. Nur noch ein Tipp: Nehmen Sie Ihren eigenen Kompass auf einen Rundgang durch die Ausstellung „Die Quadratur des Tigers“ mit Bildern von Elke Heber - suchen Sie, finden Sie, lassen Sie sich blenden oder überraschen, staunen Sie!
Vielen Dank, dass Sie die Redezeit mit mir geteilt haben.
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