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Ausstellung "Pflanzenwerk und Tiergebein im Schatten der Skulptur" am 27.09.2013 im Palais Großer Garten
Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist wirklich tierisch was los hier...
Ich begrüße Sie herzlich zu einer, wie ich finde, besonderen Ausstellung mit Bildern voller Zauber und Leichtigkeit in einer Respekt einflößenden historischen Umgebung voller Geheimnisse und Geschichten. Ja, ich bin ein bekennender Fan der Kunst von Elke Heber. Allerdings ist meine Meinung so subjektiv wie Geschmack nur sein kann. Ich bin keine Kunstexpertin, sondern Kunstgenießerin. Dennoch stehe ich hier und darf, umrahmt von dieser wunderbaren Musik, eine Festrede halten. Dann rate ich Ihnen, sich jetzt festzuhalten – an einem Glas Wein, an einem Gedanken, an einer zuverlässigen Schulter - denn jetzt kommt meine Rede.
Das, was mich dazu befähigt, heute zu Ihnen zu sprechen, ist folgendes: Ich habe einen Schatten. Sie werden spontan erwidern wollen: Hat doch jeder irgendwie. Womit Sie recht haben. Doch mein Schatten ist ein authentischer, denn er kommt direkt aus dem Schattenreich. Ich weiß auch nicht so genau, wie ich zu der Ehre kam, es geschah einfach.
Geboren und aufgewachsen bin ich in einem armen, schönen Land, das hier erst dann in die Nachrichten kommt, wenn die Leute ihren korrupten Politikern die Türen einrennen oder wenn ganze Dörfer mit Sinti und Roma dort verschwinden und in Berlin-Neukölln wieder auftauchen. Ich gebe Ihnen einen Tipp – es ist nicht Rumänien. In diesem schönen, armen Land wachsen die Legenden quasi an den Bäumen. So auch die von Orpheus, der in einem sanften Gebirge namens Rhodopen im Süden gelebt und mit seiner Musik Mensch und Tier, Stein und Gebein verzaubert haben soll. Die Rhodopen selbst sind eine verwunschene Herrscherin der Gegend, die Rhodope hieß. Sie und ihr Gemahl Ham waren so hochmütig, sich selbst gegenseitig Herra und Zeus zu nennen, dass es den eitlen Göttern zu viel wurde und sie die Zwei in zwei Gebirgen verwandelten – den Balkan und die Rhodopen, die nun schön 300 km voneinander entfernt liegen.
Nicht von Übermut, sondern von Liebe, über die Grenzen des Schattenreichs hinaus, erzählt die Geschichte von Orpheus und Euridike, die mich als Kind stark beeindruckte. Eines Tages hörte ich bei einer Wanderung in den Rhodopen den unbeschreiblichen Gesang eines Schäfers. Er war in der Lichtung und nicht zu sehen, nur seine friedlich grasenden Schafe schimmerten rot im Glanz der Spätnachmittagssonne. Es war wie Magie. So muss die Musik von Orpheus gewesen sein, diese wehklagende Melodie war unbeschreiblich schön. Ich setzte mich hin und hörte zu. Dabei fiel mir auf, dass mein Schatten fehlte, aber dann kam plötzlich ein Schatten von links und meinte: „Trifft sich gut, komme direkt aus dem Schattenreich. Orpheus lässt grüßen, brauche einen Menschen als Träger, habe genug in der kalten Finsternis gehockt und gefroren, Euridike beim Verschwinden zugesehen. Ein Jammer, dass sich dieser Orpheus umgedreht hat, wäre er ein neugieriges Weib, ja, dann könnte man das verstehen, aber ein Mann!
Bei Hades! Ich habe dieses Trauerspiel satt. Ich will hinaus, in die große Welt hinaus, was erleben, paar Mädels und keine Geister um mich haben, Sonnenauf- und -untergang sehen.“ Er holte tief Luft und fasste freudig zusammen: „Kurzum: Ich will dich beschatten“. Nun, da ich bereits in der DDR lebte, fand ich die Idee erstmal nicht so toll, aber er meinte es nicht so. Das war offensichtlich. So kam er mit, lernte Deutsch in der Volkshochschule, getarnt als Schrankschatten in der Ecke und es wurde mir zur Gewohnheit, mich mit ihm zu unterhalten. Im Sommer reist er mit uns, im Winter verreist er selbst und erzählt dann an langen kalten Winterabenden von seinen weiten Reisen in Ländern, wo man den Reis wachsen hören kann, wo es nur Nacht und dann nur Tag ist, wo die Menschen Cola statt Wasser trinken. Kriegsregionen meidet er, wohl bemerkt.
Mein Schatten ist wirklich sehr interessiert – Geschichte, Philosophie, auch Kunst. Politik weniger. Er sagt, Politik ist nur was für Griechen. Er meint die alten Griechen und ihre Demokratiespielchen zwischen den Kriegen, die sie reichlich führten.
Einen Nachteil hat das Zusammenleben mit so einem authentischen Schatten schon: durch seine besondere Herkunft ist er so ein Klugsch..., klug und schlau ist er ja, aber auch recht überheblich, gelegentlich. Und ja, es kommt manchmal zum Streit. So geschah es vor ein paar Wochen, da habe ich ihn kritisiert, ich weiß nicht mehr, warum. Er wurde plötzlich wütend. „Unterstellst du mir etwa, dass ich so handle wie der Schatten in der Erzählung von Hans Christian Andersen?“ „Nein“, beteuerte ich reflexartig, obwohl ich nicht den blassesten Schimmer hatte, was der Schatten bei Andersen angestellt hat. Aber so wie ich Hans Christian Andersen kenne, war es sicherlich nichts Lustiges. „Ein gelehrter, wohl sehr naiver Mann wurde von seinem eigenen Schatten verraten und belogen, so dass der Mann fälschlicherweise ins Gefängnis geworfen wurde und der Schatten fälschlicherweise die Prinzessin heiraten konnte.“ „Ich bin schon verheiratet und mein Mann ist auch keine Prinzessin“, wehrte ich mich. Mein Schatten winkte ab und verschwand, tagelang.
Dann tauchte er wieder auf, nachdem ich mit Elke Heber ein paar Details für diesen Katalog besprochen habe. Ehrlich gesagt: sie hat gesprochen und ich habe zugehört. Der Schatten fragte: „Was macht diese Frau beruflich? Ist sie Pressesprecherin?“ „Nein“, beruhigte ich ihn „Sie malt“. „Malen mit oder ohne „h“? „Was für einen Sinn ergibt den „mahlen“ mit „h“ hier?“, schrie ich ihn an. „Keinen“, sagte er ruhig. „Es geht doch um Kunst. Und da ergibt nicht immer etwas einen Sinn. Oder der Sinn ist verborgen im Kopf des Künstlers, ausgelöst durch ein Licht oder eine Textzeile oder eine Farbe, fixiert im Moment seiner Inspiration durch Pinselstriche auf eine Oberfläche, die er dafür für geeignet hält. Wusstest du, dass sie Zeichnungen durchs Wasser zieht, damit sie aquarellieren, so aus dem Boot raus tut sie das.“ Ich sagte nichts. Dafür war mein Schatten in Redelaune: „Bei dieser neuen Ausstellung da im Palais (er meinte Palé, er kann kein Französisch) da sind Pflanzen und Tiere und Tiergebein, aber keine Menschen, so gut wie keine Menschen. Wusstest du das? Und vielleicht hat sie recht. Der Mensch, tja. Ich zitiere: 'Ist doch der Mensch gleichwie nichts: seine Tage gehen dahin wie ein Schatten, er hüpft umher wie ein Bock, bläht sich auf wie eine Blase, faucht wie ein Luchs, frisst sich den Bauch voll wie eine Schlange, wiehert beim Anblick eines fremden Weibes wie ein Hengst, ist tückisch wie der Teufel...'. „Das klingt nach dem ehrenwerten Protopopen Awwakum, zitierst du aus seinen Schriften?“, fragte ich entsetzt.
„Bingo!„ freute sich der Schatten. Er freute sich zu früh, denn ich explodierte: „Meinst du im Ernst, dieser fanatische russische Pope aus dem 16. Jahrhundert hat irgendetwas zu tun mit einem phantasievollen Ausstellungskonzept? Dieser Pope, der während der Vesper 300 Verbeugungen bis auf den Boden, 600 Jesusgebete und 100 Gebete zur Gottesmutter einführen wollte und der die armen Leute mit siebenstündigen Gebeten terrorisierte? Meinst du den? Ich kann dir versichern, der war damals so beliebt wie hierzulande die FDP!“ Mein Schatten schwieg verlegen, fragte nicht nach, wie viele Gebete und Verbeugungen diese ihm unbekannte FDP einführen wollte, und sagte dann leise: „Ist schon gut. Du … du bist mein Traum“... und sah mich treu und reumütig an. „Des Tages Kinder – was sind wir, was nicht? Eines Schattens Traum sind Menschen“, rezitierte er. „Ja“, raunte mein Schatten dann. „Pindar, fünftes Jahrhundert vor Christus, Lyriker, Komponist von olympischen Hymnen. Eines Schattens Traum sind Menschen... wie schön.
Du, Seelöwen habe ich auch gesehen auf meinen Reisen, nicht so blau wie die von Elke Heber, aber schön, wie Eis in der Sonne schimmert ihre Haut. Und habe ich dir schon von dem Wasserbüffel erzählt, der Astronaut werden wollte, um zu schweben, wie aus schwarzer Luft, das war SEIN Traum, ist wirklich wahr. JA, unser Schattens Traum sind Menschen, aber wir Schatten sind auch tierlieb, glaub mir das. Und die Pflanzen erst, toll, was alles dahinter verschwinden kann: Dampfmaschinen, Stadtsilhouetten, Weises und Lautes, Eitles und Verlogenes. Eine bessere Welt, findest du nicht? So ohne Menschen, nur mal ein Marionettenspieler, mehr Schatten als Mensch. Findest du nicht? Ohne Menschen wäre die Welt definitiv friedlicher, nicht? Schnittlauch for president! Kein Stau, kein Neid und Totchlag... Aber auch nichts Erhabenes, Analytisches, Inspirierendes und sich in Inspiration Umwandelndes. Ein Zusammenleben von Mensch und Natur wäre optimal, Leinwand her, Leinwand hin, findest du nicht? Da im Schattenreich, da hatten wir keine...“
Und wenn er nicht zu den Toten zurückgekehrt ist, dann redet er noch heute. Oder schweigt, erstarrt zum Schatten irgendeiner dieser ehrwürdigen Skulpturen hier. Mein authentischer Schatten würde hierher eigentlich ganz gut passen, als Leihgabe. Doch keine Angst, er tut ihnen nichts. Genießen Sie einfach diese ungewöhnliche Symbiose aus Malerei und Skulptur, lassen Sie Goldregen auf ihre Phantasie regnen, suchen Sie, finden Sie, entdecken Sie, staunen Sie, fürchten Sie sich nicht vor den Schattenseiten dieser Welt – dort könnte sich etwas Neues, Anregendes verbergen. Viel Spaß dabei und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bistra Klunker, 27.09.2013 |
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