|
Camels im Windschatten in der Galerie im Herzzentrum
Malerei, Grafik und Collage von Elke Heber
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
So ein denkwürdiger Tag für Dresden - das Museumsdorf im Zentrum ist gesäubert von Dreck und von Dresdnern, dieser ehrwürdige Hörsaal mit Rednerpult und Mikro, die strahlende Künstlerin, sehr freundliche Gastgeber, und ich habe mich auch entsprechend in Schale geworfen. Das alles könnte so gut zusammenpassen, es hätte eine vorzügliche, festliche Ausstellungseröffnungseinführungsrede werden können. Leider wird nichts daraus. Im Übrigen können Sie den Werdegang von Elke Heber dort nachlesen - woher sie kommt, wo sie steht. Wohin sie geht, kann Sie Ihnen in einem persönlichen vertraulichen Gespräch selbst sagen - wenn sie es schon weiß. Da sehen Sie auch die Preise - scheuen Sie sich nicht, investieren Sie in Kunst! No future for Investment banking, but for Investment art. Bringen Sie jetzt Frau Hebers rote Schäfchen ins Trockene, bevor es ein anderer tut.
Damit Sie nicht umsonst alle Sicherheitszonen überwunden und alle Verkehrsumleitungen über sich ergehen ließen, damit Sie also nicht umsonst hier sitzen, erkläre ich, nein, zeige ich ihnen, warum ich die Festrede nicht reden möchte. Dabei benutze ich keinen Beamer, Laserpointer oder andere aufwändige Präsentationsmittel. Denn ich spare ganz im Sinne unseres Finanzministers Herrn Steinbrück, in dessen Händen ich die Steuern der Enkel meiner Enkel als Pfand legen musste.
Alles, was wir brauchen, ist: das Kino im Kopf. Wir sehen nun auf der Leinwand eine herkömmliche Ausstellungseröffnung. Die Gäste flanieren bereits in den Räumlichkeiten. Man steht solo vor den Bildern, meist mit nach rechts geneigtem Kopf. Womöglich ist das eine uns seit Steinzeiten angeborene Haltung, die Suche symbolisiert: Na, wo ist sie denn, die Kunst, na wo? Manche Besucher gruppieren sich, meist in Paaren, die schweigend auf die Objekte schauen - keiner will den schwarzen Peter ziehen und als erster was Blödes sagen.
Dann gibt es was zu trinken und das ist ein wesentlicher Punkt einer Ausstellungseröffnung. Denn da man bei der unvermeidlichen Einführungsrede meist herumsteht und nicht sitzt, bietet das Getränk, das man nun in der Hand hält, einen dankbaren Halt. Man hält sich oft sogar mit beiden Händen daran fest, knickt das linke Bein ein bisschen ein, schaut auf die Uhr und überlegt, ob es reicht, wenn man in den folgenden zehn Eröffnungsrede-Minuten das eingeknickte Bein zwei-drei Mal wechselt. Von Vorteil ist auch, dass man an dem Getränk gelegentlich nippen kann - so kaschiert man elegant Müdigkeit und Desinteresse. Die Rednerin oder der Redner beginnt meist mit einem Klassiker-Zitat. Goethe macht sich da ganz gut, er hat sich nun mal über alles Gedanken gemacht, bis auf seinen Stuhlgang vielleicht, jedenfalls sind keine Verse darüber überliefert.
Anschließend taucht der Redner oder die Rednerin tief in kunstrezeptorische Metaphern, womöglich bis zur Antike.
Unser Geist trennt sich derweil vom immer noch lässig geknickten Körper und stäubt in zig Richtungen auseinander. Der eine schaut nach, ob er den Herd wirklich ausgemacht hat, der andere geht den Inhalt seines Kühlschranks durch, ein anderer legt sich die Schelte für einen ungezogenen Sohn zurecht, einer liebt, einer bangt, einer hasst, einer füttert Kamele im Windschatten, einer hat heute hemmungslos Nacktschnecken kleingeschnippelt. Einer will nur schnell nach Hause. Unter den paar da gebliebenen, die also noch Geist und Körper beieinander haben, schielt einer auf sein Handy und versucht, die Nummer des entgangenen Anrufs zu erkennen. Etwas Geschicktere könnten gar blind eine SMS in der Hosentasche schreiben.
Schnitt. Genau in diesem Moment kauft Mustafa Talal Kalifa aus Al Kaf bei Alchanja eine Frau. Sieben Kamele hat er dafür bezahlt, das ist ein Vermögen. Die Eltern von Sandra Schulz suchen zur gleichen Zeit auf dem Spielplatz an der Raststätte Walsleben Ost nach der Zahnspange ihrer Tochter, die sie dort verloren hat. Auch sie hat ein Vermögen gekostet.
Frau Gerda Blei aus Omsewitz kommt vom Tierarzt, ihr Hund hat eine Spritze für ein Heidengeld bekommen, sie fährt mit dem Bus, sie fährt nach Welcome, Mr. Prasident - so heißen alle Strecken neulich in Dresden. Auch dafür braucht man eine Menge Schotter, 40 Millionen Euro soll die Aktion kosten, aber auszurechnen, wie viele Kamele das wären, ist mir zu anstrengend.
Ein Vogel versingt sich, was recht selten vorkommt, eine Schule wird gegründet, ein Schuh drückt, ein Schiff lichtet Anker, vor lauter Schnittlauch sieht man die Elbe nicht.
Schnitt. Ein Sprung zurück in der Zeit. Genau 2000 Jahre ist es her, die Varusschlacht, da rennen die Römer in Römerlatschen nach Rom zurück. Der tapfere Arminius soll sie vertrieben haben, aber alle wissen insgeheim, dass es das Wetter war. Behaltet euer Germanien, wo nicht mal Zitronen blühen. Ich kann die Resignation der Römer verstehen. Wie oft habe ich meinen schwitzenden Verwandten auf dem Balkan mit klappernden Zähnen am Telefon erklären müssen: “Ich stehe im Garten bei zehn Grad im Schatten und versuche zu grillen.“ Meine Mutter schweigt vor Entsetzen. “Ach, Kind”, sagt mein vor Hitze nach Luft schnappender Vater “es ist Sommer…” “Ja, ich weiß”, sage ich leise, “das dachte ich früher auch…”. Aus Frankreich meldet sich Heinrich Heine: “Die deutschen Sommer sind grün angestrichene Winter.” Ich lasse mich nach vorne in der Zeit fallen, die Kälte kriecht aus dem Körper heraus, trockene Luft schmeichelt meinen Lungen, Kamele dösen auf den Treppen vor dem Albertinum, es gibt Krabben aus der Dresdner Bucht. Statt Gras wachsen getrocknete Bananenschalen. Ein Boot schaukelt auf grünem Wasser. Darin sitzen drei Mädchen: Jael aus dem Kibbutz Afikim in Galiläa, Parvana aus Salalah Oman und Mandy aus Schwandorf. Nathan der Weise winkt und lässt grüßen. “Jeder liebt sich selbst nur/ am meisten? - Oh, so seid ihr alle drei / betrogene Betrüger! Eure Ringe/ sind alle drei nicht echt. Der echte Ring/ vermutlich ging verloren.” Das Boot verschwindet hinter dem Blauen Wunder im Sandsturm.
Inzwischen ist der Redner oder die Rednerin mit orgiastischen Vergleichen beschäftigt, die langsam von Tsunami auf kräftigen Nordostwind abebben. Im stürmischen Meer liegen Ausführungen über die Materialien, die der Künstler oder die Künstlerin künstlerisch im Sinne der Kunst verkünstelt hat. Nur was kratzt es mich, ob die Bilder oder Collagen gekratzt, gemeißelt, gestochen oder gestickt wurden? Acryl oder Natur? Öl oder Essig? Aquarell oder stilles Wasser? Pastell oder grell? Kohle oder bettelarm? War die Künstlerin wütend, trank sie Wein, sinnierte sie ausnahmsweise schweigend über Leben und Tod? Bereitete sie nebenbei ihren Unterricht vor? Fand sie, ohne zu suchen? Suchte sie, ohne es zu wissen? Verschiffte sie hemmungslos die vervielfachte Kuppel der Frauenkirche aus Lust oder aus Frust? Gibt es Mitwisser? Ist das Gelabber bald vorbei?
Der Einführer oder die Einführerin gehen nun tatsächlich zum fulminanten Finale über: “In modularer Präzision schafft er/ sie ein grandioses inszenatorisches Drehbuch des menschlichen Daseins. Dantes Inferno für den einfachen Feuerwehrmann, sozusagen. Minimierte Striche, fragmentierter Schwung, ein monumentiertes Werk…” Unsere Seelen kehren auf leisen Sohlen zu ihren Körpern zurück, die jetzt zum letzten Mal das Knickbein wechseln. Ist ja auch gleich vorbei. Schon wird das Getränk vorsichtig abgesetzt, um die Hände frei zu haben fürs Klatschen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ziemlich wirres Zeug, was die Tante da erzählt hat, werden Sie denken. Es freut mich, dass Sie mich richtig verstanden haben. Kunst ist wirr und liegt im Auge des Betrachters, deshalb hat sie immer einen Knick in der Optik.
Zum Schluss nur ein paar nützliche Gebrauchstipps für die Bilder, Grafiken und Collagen von Elke Heber:
- Wagen Sie einen Kamelritt zu Land, zu Wasser oder aus der Froschperspektive!
- Genießen Sie Canalettos Blick im Jahr 2050 - für viele von uns wäre es die einzige Möglichkeit.
- Werden Sie nicht zu Zielscheiben von Bogenschützen!
Entdecken Sie selbst die Wirkung dieser fantasievollen Bilder!
Und entschuldigen Sie bitte noch mal, dass ich auf eine Einführung verzichtet habe. Vielen Dank für Ihr Verständnis!
Bistra Klunker, 4.Juni 2009
|
|
|